Wenn junge Deutsche aus Siegen-Wittgenstein heute nach Israel zu einem Austauschprogramm mit Emek Hefer reisen, dann wird es für sie nicht dieselbe Bedeutung haben, wie für die Jugendgruppenleiter*innen, die 1966 zur 1. Studienreise nach Israel gereist sind. Neben dem Ziel der Völkerverständigung, was auch heute noch ein Ziel in der Internationalen Jugendarbeit ist, ging es 1966 auch um Versöhnung.
Helmut Peter hält anlässlich der 20jährigen Partnerschaft auf der Vollversammlung des KJR ein Referat und schreibt:
„Es waren Jahre, in denen ein Teil der verantwortlichen Jugendgruppenleiter sich bewusst waren, was es bedeutet, ins Land der ‚Opfer‘ zu fahren“. Und weiter: „Alle, die sich damals bewusst einem der dunkelsten Teile unserer Geschichte gestellt haben, haben unendlich viel für sich gewinnen können. Diese Begegnungen brachten den Beweis: Wer sich der Geschichte stellt, wird freier.“
Tal der Gemeinden in der Gedenkstätte Yad Vashem und Gedenktafel für die „Gerechten unter den Völkern“, für Menschen, die Juden gerettet haben, wie der Siegener, Walter Krämer.
Das Bewusstsein, dass man als Deutscher aus dem ‚Land der Täter‘ kommt, dass das Volk, dem man angehört, verantwortlich ist für die Verbrechen, dass die Eltern- und Großelterngeneration dafür verantwortlich war, wird als Belastung wahrgenommen; und der Akt, sich der Geschichte zu stellen und von Menschen aus dem Land der Opfer, besonders auch von Überlebenden des Holocausts Gastfreundschaft als Deutsche und Deutscher zu erfahren, wird als Befreiung erlebt. Diese Erfahrung werden viele teilen können, die Ende der 60er und in den 70er Jahren an Austauschprogram teilgenommen haben.
Vermutlich wird kein Jugendlicher, der heute an einem Austauschprogramm teilnimmt, dies so für sich erleben. Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und der Shoa ist immer noch ein Teil der Austausche. Besuche von Gedenkstätten wie Sachsenhausen oder Hadamar, sind Teil der Programme von Jugendlichen, Erwachsenen oder Fachkräften.
Die Shoa ist in Israel auch heute präsent und nimmt einen herausragenden Platz im kollektiven Bewusstsein ein. Sie ist in der Schulbildung fest verankert. In vielen Familien aus unserem Partnerkreis Emek Hefer sind die Opfer auch in der dritten oder gar schon vierten Generation nach der Shoa nicht vergessen. Das ist ein deutlicher Unterschied zu den deutschen Jugendlichen, deren Wissen oft gering ist. Und in den Familien ist der Holocaust meist gar kein Thema mehr.
Dieser Unterschied zwischen deutschen und israelischen Jugendlichen steht bei den Begegnungen nicht im Vordergrund, aber er ist da. Die Auseinandersetzung der deutschen Jugendlichen mit der Shoa in der Vorbereitung, der gemeinsame Besuch von Gedenkstätten im Programm und die Gestaltung einer gemeinsamen Gedenkfeier, sind vielleicht immer noch eine Art der Versöhnung, aber sicher der Versuch, dass sich junge Deutsche der Geschichte unseres Landes zu stellen, um zu erkennen, welche Verantwortung wir heute, als Einzelner und als Gemeinschaft für die Zukunft unseres Landes haben.