Lebenslange Verbindungen

Ruthy Strauber und Heinz Walter Röcher

 Ruthy Röcher erzählt ihre Geschichte und die ihres Mannes mit der Partnerschaft:

Ruthy und Heinz Röcher in Jerusalem

Heinzs erster Auslandsaufenthalt datiert aus dem Jahr 1970. Der 18-jährige Büschergrunder erfuhr durch seinen Freund und Fußballkollegen Bernd Hofmann, der damals eine Ausbildung bei der Stadtverwaltung Freudenberg absolvierte, von einem Jugendaustausch mit Emek Hefer in Israel. Ohne zu ahnen, wie sehr dies sein weiteres Leben beeinflussen würde, meldete er sich an. Die Vorbereitungstreffen mit Manfred Zabel und Helmut Peter und die anschließende Reise eröffneten ihm eine neue Welt. 

Ein Jahr später besuchte eine Jugendgruppe aus Israel das Siegerland. Heinz begleitete die Gruppe während ihres Aufenthalts. In dieser Zeit begann auch die Freundschaft zu Heiner Otterbach. 

Ein weiteres Jahr später entschloss sich Heinz, seine Arbeit aufzugeben und am Siegerland-Kolleg sein Abitur abzulegen. Den Sommer 1972 nutzte er, um mit seinem Freund Dieter Heilmann und Heiner Otterbach auf eigene Faust Israel zu besuchen. Heiners Intention war Rina Menda wiedersehen, die der israelischen Gruppe von 1971 angehörte. Rina plante, mit Heiner Israel zu erkunden, wusste aber, dass ihre Eltern ihr nicht erlauben würden, allein mit Heiner zu reisen. Deshalb fragte sie mich, ob ich mitkommen würde. Ich stimmte zu und brachte noch Flora aus Tel-Aviv mit in die Gruppe. Mit Rucksack und Schlafsack machten wir uns auf den Weg. Ziemlich schnell wurde uns klar, dass unser Plan, als Gruppe durch Israel zu trampen, nur schwer zu realisieren war. Wir beschlossen, uns in drei Gruppen aufzuteilen und uns an den jeweiligen Zielen zu treffen. Nun waren wir: Heiner mit Rina, Heinz mit Ruthy und Dieter mit Flora. Morgens fuhren wir getrennt los, abends trafen wir uns am Ziel, um unter freiem Himmel zu übernachten. Mit wenig Geld in der Tasche war es eine wunderbare, abenteuerliche Reise.

Aus den drei Paaren sind zwei Ehen entstanden. Rina und Heiner leben heute in Berlin und haben zwei Söhne. Heinz und ich sind Eltern von Dror-John, der in Israel geboren wurde, und Shira-Ilana, die 1993 in Siegen zur Welt kam. 

Familie Röcher 1995

1973 ging Heinz wieder nach Israel, um dort zu bleiben. Zunächst als Volontär im Kibbuz Kfar HaHoresch. Später als Angestellter in der Stadtverwaltung von Afula. Am Anfang war es eine schwierige Zeit, es war ein langer Prozess, als „Ausländer“ eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Wir lebten damals in Kirjat Tiw’on, einer kleinen Stadt zwischen Haifa und Nazareth. 1976 sind wir nach Deutschland gekommen. Unser Ziel war es, zu heiraten, mit uns unser Sohn Dror-John. Schließlich sind wir geblieben. Die ersten Jahre verbrachten wir in Freudenberg. Ich begann ein Pädagogikstudium an der Gesamthochschule Siegen. Heinz arbeitete in seinem Beruf als Vermessungstechniker, um die Familie zu ernähren. Familie Röcher 1995

In dieser Zeit war die „Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland e. V.“ für uns eine wichtige Anlaufstelle. Wir wurden Mitglieder und ich begann mich ehrenamtlich zu engagieren. Wir lernten viele gute Menschen kennen, die unser Leben begleitet haben: Hugo Hermann und seine Lebensgefährtin Lotte, Klaus und Dorothee Dietermann, Herbert Gieseke und seine Familie, Ulli und Werner Stettner, Mathias Weisinger, Margaret und Heinz Gockel und viele andere. Einige von ihnen sind unsere besten Freunde geworden.

1985 zogen wir nach Siegen. Dror besuchte nun das Evangelische Gymnasium in Weidenau. Ich war Mitglied der jüdischen Gemeinde in Dortmund. 1986 feierten wir Drors Bar Mitzwa in der Dortmunder Synagoge. Eingeladen war auch seine Schulklasse, die mit dem Bus nach Dortmund fuhr, begleitet vom Klassenlehrer Burkhard Jung, dem heutigen Oberbürgermeister von Leipzig.

1988 durfte ich im Rahmen meiner Promotion im „Zentralarchiv der DDR“ in Potsdam forschen. Es waren drei bewegende Wochen. Ein Jahr später, im Sommer 1989, suchten die jüdischen Gemeinden der DDR einen Erzieher für das jüdische Ferienlager auf Rügen. Ich bewarb mich, bekam die Zusage und verbrachte wieder drei Wochen in der DDR. In dieser Zeit besuchten uns viele Großeltern und Gemeindevorsitzende in der Baracke in unserem Ferienort Glowe. Tagsüber unterrichtete ich die Kinder und Jugendlichen in Judentum und Hebräisch, die Abende waren ausgefüllt mit Gesprächen mit den Angehörigen der Kinder, die uns besuchten. Gespannt lauschte ich ihren Erzählungen über das Leben in der DDR. Ich nenne diese drei Wochen unsere „Wendezeit“. 

Im November 1989 fiel die Mauer. Ich erinnere mich noch genau, wir hörten die Nachricht im Radio auf dem Weg in den Westerwald, ich sollte dort einen Vortrag über die Pogromnacht halten und Heinz begleitete mich. Heinz arbeitete damals im Vermessungsbüro Münker und Heitmann in Siegen. Wie viele Vermessungsbüros waren sie nun auch in Ostdeutschland tätig und Heinz war neugierig auf die Menschen in der ehemaligen DDR.

1993 kam unsere Tochter Shira-Ilana in Siegen zur Welt. Der Wunsch, unser Leben zu verändern, wuchs, vor allem vermisste ich die Nähe zu einer jüdischen Gemeinde. Im April 1994 sind wir in den Osten gezogen. Heinz arbeitete in seinem Beruf, der in Ostdeutschland sehr gefragt war, während ich die Aufgabe übernahm, Kinder und Jugendliche in den drei sächsischen Gemeinden Dresden, Leipzig und Chemnitz über das Judentum zu unterrichten. 

Unser Wohnort wurde Chemnitz, da Heinz beruflich dort gebunden war. Seit 2006 bin ich Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz. Die Erfahrungen aus der Zeit im Vorstand der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Siegen waren für dieses Amt sehr hilfreich. 

Heute haben wir drei Enkelkinder, die in Berlin und Dresden leben. Wir besuchen sehr gerne unsere Freunde und Verwandten im Siegerland und blicken mit Zufriedenheit und Dankbarkeit zurück.

Übrigens wurde vor einem Jahr eine Städtepartnerschaft zwischen Kirjat Bialik und Chemnitz begründet, an deren Zustandekommen ich beteiligt war. Für mich war das gefühlt wie eine Fortsetzung der langjährigen Austauschbeziehungen zwischen dem Siegerland und Emek Hefer. Und mehr noch, im letzten Jahr war auf Initiative von Mor Maor eine Jugendgruppe in der Jüdischen Gemeinde Chemnitz aus Emek Hefer zu Gast. So schließen sich die Kreise. 

Dr. Ruth Röcher

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