(Titelfoto: Das Foto zeigt bewusst keinen realen Krieg, sondern ein KI-generiertes Motiv)
In den 50 Jahren der Partnerschaft gab es immer wieder schwierige Zeiten. Drei Beispiele zeigen, wie sich die Partnerschaft in diesen Zeiten bewährt hat.
In schwierigen Zeiten denken wir natürlich besonders an unsere Partner in Israel. Die Geschichte des Staates Israel wird seit seiner Gründung 1948 von Krieg und Terror begleitet. Die Freunde im Kreis Siegen-Wittgenstein haben durch ihre Verbundenheit immer die Entwicklung in Israel intensiv mitverfolgt und sich gesorgt.
Eine Geschichte erzählt von den Ernteeinsätzen von jungen Menschen aus Siegen-Wittgenstein nach dem sogenannten Jom Kippur Krieg.
Eine andere Geschichte erzählt von der schwierigen Zeit in der fast dreijährigen Pandemie, in der keine Begegnungsmaßnahmen stattfinden konnten und es trotzdem intensive Kontakte gab.
Eine dritte Geschichte zeigt auf, dass der Antisemitismus in Deutschland nicht verschwunden ist. Alte Feinbilder erscheinen im neuen Gewand. Seit geraumer Zeit gibt es einen „israelbezogenen Antisemitismus“, der im rechten und linken Spektrum verortet ist, sowie bei vielen Mitbürgern mit türkischen und arabischen Wurzeln. Daher veranstalteten der Kreisjugendring, die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und die Initiative Tacheles – Netzwerk gegen Antisemitismus Siegen 2021 eine Solidaritätskundgebung.
Die Rede von Heiner Giebeler auf der Kundgebung steht unter OR-Code zum Download zur Verfügung. Nähere Informationen zum Thema „israelbezogener Antisemitismus“ gibt es hier.
Eindrücke der Israel – Reise von Heiner Giebeler in den Osterferien 2002
Ich sah eine Grenze …
Ich habe in den Osterferien für 8 Tage unseren Partnerkreis Emek Hefer in Israel besucht. Es war mein fünfter Besuch in Israel. Nachdem der Jugendaustausch aufgrund der Sicherheitslage abgesagt wurde und auch die geplante Delegationsreise nicht statt fand, bin ich alleine, aber im Auftrag des Kreisjugendringes nach Israel geflogen.
1 ½ Jahre Terror haben Israel verändert. Das Leben geht weiter, aber überall ist die Veränderung spürbar. Die Schulen sind doppelt umzäunt und stark bewacht; jeder Besuch eines Kaufhauses bedeutet die Kontrolle von Taschen und Leibeskontrolle mit Metalldetektoren. Die Zugangsstraßen der Dörfer im Emek Hefer werden abends geschlossen und um die Dörfer fahren Sicherheitsdienste. Dafür zahlt z.B. jede Familie in Bet Yizhak im Monat 40 Schekel zusätzlich (ca. 10 EURO). Auch tagsüber kann ein Dorf abgeriegelt werden, wenn man Selbstmordattentäter in der Nähe vermutet.
Viele Menschen meiden belebte Plätze und halten sich nicht mehr als nötig in der Öffentlichkeit auf. Trotz der Pessach-Feiertage, an denen sonst das ganze Land auf den Beinen ist, waren die Straßen fast leer. Ausländische Touristen habe ich fast keine zu Gesicht bekommen. Die Nachrichten im Radio und im Fernsehen werden den ganzen Tag sehr aufmerksam verfolgt und es wird noch mehr telefoniert. Die politische Situation wirkt sich auf das ganze öffentliche und auch private Leben der Menschen aus und die angespannt Stimmung ist spürbar.
Seit den Selbstmordattentaten sehen sich viele Israelis wieder als Volk kollektiv bedroht, denn das Ziel der Attentate scheint es zu sein, Juden zu morden – möglichst viele. Die alte Angst, dass letztlich die Araber (nicht nur die Palästinenser) die Israelis am liebsten ins Meer vertreiben würden, erhält neue Nahrung. Großes Unverständnis herrscht darüber, dass Arafat die Vorschläge von Ehud Barak (dem Vorgänger von Ariel Sharon) für einen Frieden abgelehnt hat und stattdessen mit Terror begann. Ein Freund sagte, dass alle Israelis politisch weiter nach ‚rechts’ gerückt sind. Gegen Maßnahmen, die die Bevölkerung vor weiteren Terroranschlägen schützen, kann niemand etwas sagen. Arafat wird von den meisten Israelis für die Attentate verantwortlich gemacht – erst Recht seit man Zahlungsbelege für die Attentate in seinen Büros gefunden hat. Niemand kann sich im Moment vorstellen, dass Israel mit diesem Mann einen Frieden machen kann.
Die meisten unserer Freunde im Emek Hefer haben wie wir auf den Friedensprozess gehofft. Damit verbunden war ja auch die Bereitschaft Land für Frieden zu geben und einen palästinensischen Staat zu akzeptieren. Umso größer ist jetzt die Enttäuschung und zurzeit auch die Hoffnungslosigkeit. Manche sehen zwei Führungsprobleme. Sie glauben das Arafat die Palästinenser nicht zum Frieden führen wird und sie glauben, dass es in Israel keinen Politiker gibt, der die Umsiedlung von ca. 250 000 Siedler durchführen kann, als Voraussetzung für einen palästinensischen Staat in der Westbank.
In unserem Partnerkreis habe ich in dem neuen Dorf ‚Bat Hefer’, in dem ca. 1300 meist junge Familien leben und dass ganz nahe an der palästinensischen Stadt Tulkarem liegt, die erste ‚Grenzanlage’ zwischen Israel und Palästina gesehen.
Die Mauer hat man jetzt erhöht, verlängert, um einen elektrischen Zaun erweitert und wird mit Soldaten bewacht, nachdem Schüsse aus Tulkarem auf das Dorf abgegeben wurden. Ich wurde an die Zeiten der deutsch– deutschen Grenze erinnert. Gleichzeitig kam bei mir der Gedanke, dass in dieser verfahrenen politischen Situation eine Trennung der beiden Völker durch eine Grenze wohl sehr sinnvoll sein könnte. Aber die Realität ist nicht nur, dass es keine Grenze zwischen Israel und den Autonomiegebieten gibt, sondern auch dass es keine zwei Staaten gibt – die Voraussetzung für jede Grenze.
Die Besetzung der autonomen Städte in der Westbank finden die meisten Israelis als richtige Maßnahme, damit möglichst Terroranschläge verhindert werden können und das Leben wieder ein Stück ‚normaler’ wird. Ebenso wird aber gesehen, dass diese Maßnahmen keine Lösung der Probleme bringt. Die Operation ‚Schutzwall’ bringt keinen Frieden, aber etwas mehr Sicherheit und das ist für die Menschen im Moment ein dringendes Bedürfnis.
Was bewegt mich noch? – nun, die Erfahrung, dass unsere Partner dankbar waren für den Besuch in dieser Zeit und sehr großes Verständnis dafür haben, dass der Jugendaustausch und auch die Delegationsreise nicht möglich waren. Mich bewegt, dass in den Medien in Deutschland die Rollenverteilung in dem Konflikt einseitig ist. Seit der 1. Intifada ist das Bild von ‚David und Goliath’ umgekehrt – Israel (der schwer bewaffnete Soldat oder mit Panzer) ist Goliath und die Palästinenser (Steine werfende Jugendliche) der schwache David. Der Unterschied heute zur 1. Intifada besteht darin, dass es sich nicht um einen Aufstand der palästinensischen Bevölkerung, sondern um Terror von radikalen Organisationen handelt. Ich halte mich nicht für objektiv, dazu ist meine Nähe zu den Menschen in Israel zu groß. Ich bin aber auch weit davon entfernt die aktuelle Regierungspolitik in Israel zu rechtfertigen. Etwas mehr Geschichtsbewusstsein würde den deutschen Medien gut stehen und den Menschen helfen, die Probleme besser zu verstehen, denn die Probleme sind nicht vom ‚Himmel’ gefallen und es geht nicht um den Kampf ‚Gut gegen Böse’.
Unter Freunden kann man sich kritisch mit der Situation auseinandersetzen – auch dies ist eine Erfahrung meiner Reise nach Israel. ‚Besserwisserei’ kommt nicht gut an, egal von wem. Ich habe mir die Frage gestellt, wie sich unser Land – Deutschland – verändern würde, wenn es 1 ½ Jahre mit Terroranschlägen mit Hunderten von Toten leben müsste. Was würde unsere Regierung tun und wie würde unser demokratischer Rechtsstaat damit fertig? Vielleicht hilft dieses Fragen dabei mit dem eigenen Urteil behutsamer zu sein.
Der Kreisjugendring will im Herbst den verschoben Jugendaustausch nachholen. Damit verbindet sich die Hoffnung auf eine Verbesserung der politische Situation, damit eine Reise nach Israel möglich wird. Noch sieht es nicht danach aus, doch ich hoffe für und mit den Menschen in Israel und Palästina, das es einen Weg zum Frieden wieder geben wird.
Heiner Giebeler